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Wider die Polarisierung

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Konzilsväter. (c) Lothar Wolleh

Spricht man über die Rezeption des vergangenen Konzils, spricht man über die Polarisierung heute. Kaum jemand, der nicht für seine Argumente die Lehre, den Text oder den Geist des Zweiten Vatikanums ins Feld führt. Heute – genau 50 Jahre nach der Eröffnung des Konzils – ist der Streit um den Sinn und die Lehre genau so heftig, wie er es vor, während und in der Zeit direkt nach dem Konzil war.

Ich halte mich bei diesem Beitrag an einen der besten Theologen, die zur Ekklesiologie – der Lehre von der Kirche – nach dem Vatikanum geforscht, gedacht und geschrieben haben: Pater, später Kardinal Avery Dulles SJ (+ 2008). In einem Artikel 2003 für die Zeitschrift America versucht er, eine Perspektive zu entwickeln, in der man das Konzil und dessen Lehre so lesen kann, dass man ihm gerecht wird.

Avery Dulles ist kein Revolutionär der Theologie, als Autor für diese Zeitschrift gehört er eher zu denen, die man landläufig als liberal bezeichnen würde, auch wenn dieser Begriff eigentlich nicht viel aussagt. Vor allem aber ist er ein sorgfältiger Denker und Theologe, vor allem, was die Lehre von der Kirche angeht.

 

Der Kompromiss und die Medien

 

Dulles nennt vier Faktoren, die die Wahrnehmung des Konzils ausgemacht haben und immer noch ausmachen, zwei davon scheinen mir besonders treffend: Zum einen der vielfach genannte Kompromisscharakter vieler Dokumente: Paul VI. und die Konzilsväter wollten keine Mehrheitsentscheidungen, sondern Einstimmigkeit. Das prägt die Texte und die Debatte und die Zugeständnisse in den Texten bis heute.

Der zweite Punkt ist aber vielleicht noch gravierender: Die mediale Öffentlichkeit bevorzugt immer den Konflikt und das Neue, das das Alte ablehnt. Deswegen seien besonders diejenigen Theologen immer und immer wieder zitiert worden, die einen solchen medial zu präsentierenden Konflikt aufzeigten. Dulles nennt das die „innovationist hermeneutic”. Dagegen setzten andere Theologen, Joseph Ratzinger unter ihnen, die „Hermeneutik der Kontinuität“ (davon spricht Dulles bereits 2003).

 

Lektüre-Prinzipien

 

Dulles fährt dann fort und fasst einige Prinzipien zusammen, die eine Bischofssynode 1985 zur Interpretation der Konzilstexte aufgefasst hatte:

1. Jede Passage muss im Kontext aller anderen gelesen werden: Wieder den Eklektizismus.

2. Die vier Konstitutionen (Liturgie, Kirche, Offenbarung und Kirche in der modernen Welt) liefern den Schlüssel für das Verständnis der anderen Dekrete und Erklärungen: Kein Ausspielen der Texte gegeneinander.

3. Die pastorale Dimension ist von der Lehrdimension des Konzils nicht zu trennen: Dies vor allem gegen diejenigen, die „bloß“ ein Pastoralkonzil sehen wollen.

4. Man darf den Geist und die Buchstaben des Konzils nicht trennen. [Ich füge hinzu: gegeneinander ausspielen]

5. Das Konzil muss in der Tradition der Kirche interpretiert werden, was alle frühreren Konzilien einschließt.

 

Die großen Missverständnisse

 

Mit diesem Instrumentarium macht sich Dulles daran, einige Missverständnisse aufzuklären, die er im Verstehen des Konzils sieht. Er nennt ganze zwölf. Ich werde nicht alle wiederholen, sondern nur einige, die mir besonders aktuell zu sein scheinen, aufgreifen.

Avery Dulles wendet sich gegen die Vorstellung, dass im Bereich der Vermittlung das Konzilo die Heilige Schrift aufgewertet und die Tradition an die zweite Stelle gerückt habe. Diese Tradition müsse sich immer der höheren Norm der Schrift gegenüber verantworten, so die Lehre einiger Theologen. Dagegen müsse eine vorurteilsfreie Lesart vor allem von Dei Verbum – wo es um die Offenbarung geht – feststellen, dass das Konzil bei der Lehre beleibt, dass die Kirche in ihrer Tradition die Offenbarung Gottes bewahrt. Die Schrift ist eine inspirierte Quelle und natürlich priveligiert, aber sie ist keine von der Tradition unabhängige Quelle. „Schrift und Tradition gemeinsam bilden eine einzige untrennbare Weise der offenbarten Wahrheit“, so Dei Verbum, Nr. 9.

Dulles bleibt beim Gedanken der Offenbarung, also bei der Frage, wie sich Gott uns mitteilt. Er nennt es einen Irrtum zu glauben, das Konzil habe gelehrt, dass Gott sich heute durch „säkulare Erfahrungen und Zeichen der Zeit“ offenbare, die dann Kriterien zur Interpretation des Evangeliums liefern würden. Kurz: Das Gestern muss sich dem Heute unterwerfen. Das Konzil, so Dulles, habe genau das Gegenteil gesagt: Es lehnt die Idee der fortgesetzten Offenbarung ab. In Jesus Christus sei die Offenbarung vollständig. Wenn das Konzil von den Zeichen der Zeit spreche, dann ausdrücklich so, dass diese im Lichte Christi interpretiert werden müssen (Gaudium et Spes, 49).

Ein weiterer Punkt: Religionsfreiheit und der Dialog der Religionen. Keineswegs habe das Konzil behauptet, alle Religionen hätten das gleiche Recht und durch Implikation den gleichen Wahrheitsanspruch. Es habe lediglich den Zwang durch den Staat auf dem Gebiet der Religion abgelehnt, keineswegs aber alle Religionen als gleichwertig anerkannt. Wir bleiben bei unserem Glauben, dass in der Kirche die eine wahre Religion sei (Dignitatis Humanae, 1). Es gehe gar nicht um die Frage, ob man das Recht habe, Unwahres zu glauben, moralisch sei dies Unsinn. Es geht nur um die Freiheit vor staatlichen Eingriffen, um den Weg der Wahrheit gehen zu können.

Dies sind nur drei von den zwölf Missverständnissen oder Irrtümern, die Dulles nennt. Weil aber vor allem in den westlichen Kirchen die „Hermeneutik des Bruchs“ herrsche, würden alle Versuche, eine vorurteilsfreie und an den Texten orientierte Lesart des Konzils zu unternehmen, gleich als Rückschritt gewertet. Hier beschreibt Dulles die Immunisierung gegen Kritik, die damit einher geht. Die Polarisierung dadurch, dass man die Gegenargumente gar nicht hören will.

 

Fortschritt unter Anerkennung der Tradition

 

Abschließend blickt Dulles auf das Konzil als Ganzes. Man könne mit den Texten der Moderne und der Welt begegnen, man könne die Herausforderungen für den Glauben heute meistern, ohne das Konzil verbiegen oder von der Tradition davor abbrechen zu müssen:

 

„I can say only that I find the teaching of Vatican II very solid, carefully nuanced and sufficiently flexible to meet the needs of our own time and place. .. Progress must be made, but progress always depends upon an acceptance of prior achievements so that it is not necessary to begin each time from the beginning.”


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